Interreligiöser und dialogischer Religionsunterricht für alle
Gemeinsamer Religionsunterricht anstelle von konfessionsgetrenntem? Hamburg zeigt, dass es funktionieren kann. In vielen Hamburger Schulen wird bereits seit Jahrzehnten kein aufgespalteter Religionsunterricht mehr durchgeführt. Hier heißt es stattdessen „Religionsunterricht für alle“, das heißt für Schüler:innen aller Konfessionen und Religionen. Kinder und Jugendliche können sich darin dialogisch und interaktiv sowohl mit ihrem eigenen Glauben als auch dem ihrer Mitschüler:innen beschäftigen, egal ob Christentum, Islam, Judentum oder Alevitentum. Seit zwei Jahren gilt nun auch, dass nicht nur evangelische Religionsgemeinschaften den Unterricht mitgestalten, verantworten und größtenteils evangelische Lehrkräfte den Unterricht halten. Vielmehr sollen diverse Gemeinschaften und Verbände, auch aus dem Islam und dem Judentum, im gleichen Maße wie die evangelische Kirche einen Einfluss auf den Inhalt des Religionsunterrichts haben. Außerdem sollen verstärkt Lehrkräfte diverser Konfessionen unterrichten dürfen.
Die Überlegung, statt getrenntem Religionsunterricht einen Kurs für alle Schüler:innen anzubieten, ist nicht neu, das „interreligiöse Lernen“ boomt in der Religionspädagogik schon seit den 1990er-Jahren. Trotzdem ist Hamburg das einzige Bundesland, welches solch einen interreligiösen und dialogischen Ansatz auch umgesetzt hat. Das könnte sich aber in Zukunft ändern. Trends zeigen, dass der klassische, rein christliche Religionsunterricht nicht mehr als modern angesehen wird, auch weil die Gesellschaft sich immer weiter weg von der starken Identifikation mit Religionen bewegt. Stattdessen wechseln mehr und mehr Schüler:innen zum ausgewogeneren Ethik-Unterricht, wo neben einer Breite an Religionen auch Aspekte der Philosophie, Kulturtheorie und anderer Wissenschaften behandelt werden. Deshalb spielt der Gedanke, weg von der Auseinandersetzung mit nur der eigenen Konfession und hin zu einer allgemeineren Beschäftigung mit Werten und verantwortungsvollem Leben auf der Basis von Religion und Glaube eine wachsende Rolle. Wie auch immer die Gestaltung des Religionsunterrichts an Schulen ausfällt, dass eine Modernisierung ansteht, ist ziemlich deutlich.
Religionsunterricht im Wandel der Zeit
Interreligiöses Lernen im engen Sinn geschieht direkt (personal), durch konkrete „Begegnung“ mit hinduistischen, buddhistischen, jüdischen, islamischen usw. Schülerinnen und Schülern. Im weiteren Sinn werden zum interreligiösen Lernen aber auch alle indirekten, d.h. medial durch Texte, Bilder, Töne vermittelten didaktischen Bemühungen der Vermittlung von Religionen gezählt. So verstanden ist die Geschichte und die Diskussion um das interreligiöse Lernen deutlich älter als es den Anschein hat, denn der Ursprung dafür kann bis zu den Anfängen des Christentums zurückverfolgt werden. Diskussionen der letzten Jahrzehnte liegen daher häufig Argumentationsmustern zugrunde, die alte Kontroversen widerspiegeln: ob überhaupt, und wenn ja, wozu und wie man mit Religionen, zu denen man sich nicht bekennt, theologisch und religionspädagogisch verantwortungsvoll umgeht.
Eine vorurteilsfreie Begegnung auf Augenhöhe ist dabei gar nicht so einfach, denn der interreligiöse Austausch ist geprägt von polarisierten Positionierungen einer „Wir-Gruppe“ und verschiedener „Fremdgruppen“ und einer Zwiespältigkeit über die richtige Terminologie, wenn von „anderen Religionen“ gesprochen wird. Die Terminologie innerhalb eines Religionsunterrichts verrät viel darüber, wie offen oder auch nicht auf andere Religionen eingegangen werden soll. So können Bezeichnungen wie „fremde Religionen“ bzw. „Fremdreligionen“ z.B. die Vorstellung eines fremdartigen, weitentfernten, womöglich sogar feindlichen „Anderen“ erwecken. Damit wird automatisch eine Trennlinie zwischen uns und dem anderen gezogen und ein offener Austausch gestaltet sich deutlich schwerer. Bezeichnungen wie „außerchristliche oder nicht-christliche Religionen“ implizieren ebenfalls eine Negation. Gleichzeitig vermitteln sie den Eindruck, das Christentum wäre hierarchisch höhergestellt als andere Religionen und suggerieren abermals eine Abgrenzung zum „Rest“ der Welt. Es ist wichtig zu bedenken, dass Sprache einen wichtigen Hinweis auf damit assoziierte Macht- und Dominanzstrukturen geben kann. Die Komplexität der richtigen Terminologie sowie die mögliche Angst, jemanden unbewusst auszugrenzen oder zu diskriminieren sollte jedoch niemanden davon abhalten, sich mit anderen Kulturen und Religionen auseinanderzusetzen. Schließlich ist dies der beste Weg, um stereotype Vorstellungen loszuwerden und für einen möglichst offenen Austausch miteinander zu sorgen.
Wollen Sie mehr über die Entwicklung und Geschichte des Religionsunterrichts erfahren, empfehlen wir Ihnen Udo Tworuschkas zweibändiges Werk „Religionen im Unterricht: Ein geschichtlicher Abriss des interreligiösen Lernens“.