Naturschutz und Religion

Naturschutz und Religion

Schützen Religionen die Natur?

Während des 20. Jahrhunderts  und zunehmend seit den 1970er-Jahren  behaupten immer mehr Menschen, dass alle großen Religionen im Wesentlichen die Umwelt schützten, wenn sie richtig verstanden werden würden, und dass sie zur Lösung der globalen ökologischen Krise beitrügen.

Angetrieben von der Überzeugung, dass Religionen wesentlich zum Kampf für den Erhalt der Natur beitragen können, arbeiten Organisationen wie der World Wide Fund for Nature, die ehemalige Alliance for Religion and Conservation in Großbritannien (jetzt FaithInvest) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen seit Langem mit Religionsgemeinschaften zusammen. Beispiele für religiös motivierten Umweltschutz finden sich auch in allen großen Religionen der Welt. Dazu gehören der Ökumenische Rat der Kirchen, der seit Langem „Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“  priorisiert; der Vatikan, der zur „Sorge für unser gemeinsames Haus“ aufgerufen hat;  die Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences (IFEES) in Großbritannien und das Global Muslim Climate Network; das Streben des Dalai Lama, Thich Nhat Hanh, und des 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje, um einen Öko-Dharma und eine Praxis zu schaffen. Alle diese Menschen und Organisationen erkennen an, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung einer Religion angehören. Darüber hinaus verfügen Religionsgemeinschaften über enorme spirituelle, pädagogische, materielle und finanzielle Ressourcen, die zum Schutz des Planeten mobilisiert werden könnten. Dies reicht von moralischen Lehren und Ethik bis hin zu spirituellen Autoritäten, Bildung, Medien, organisatorischen Netzwerken, Immobilien und Investitionsportfolios.

Die Kluft zwischen Biodivinität und Biodiversität

Die Werbematerialien des Projekts „Religionen für biologische Vielfalt“ behaupten, dass Religionen seit jeher Weltanschauungen und Werte vermittelt hätten, die die Biodiversität bewahrten. Da empirische Studien jedoch zeigen, dass die kollektive religiöse Reaktion auf die Umweltkrise bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden kann,  spiegeln solche Behauptungen eher moderne Vorstellungen von der Natur, Ökologie und Umwelt wider als alte religiöse Traditionen.  Sie können daher als eine Art „strategic essentialism“  angesehen werden. Diese Behauptungen scheinen sich auf Beweise für Biodivinität in religiösen Traditionen zu stützen, wobei die Natur oder Aspekte davon in irgendeiner Weise heilig seien. Doch Biodivinität an sich führt den Menschen nicht dazu, die Natur im umweltschützerischen Sinne zu bewahren. Diese entscheidende Unterscheidung kann als „Biodivinität“ versus „Biodiversität“ zusammengefasst werden.

Dieser Punkt kann auf viele Arten veranschaulicht werden. Zum Beispiel haben Bäume einen großen symbolischen Wert für den Menschen. Arten, die als heilig gelten, etwa der Ginkgo, werden seit Jahrhunderten kultiviert,  und ganze Haine wurden von vielen Völkern als Behausung ihrer Göttinnen, Götter und lokalen Geister geschützt.  Bäume und Haine können jedoch gefällt werden, wenn die innewohnenden Geister in andere Wohnstätten umgesiedelt werden  oder wenn eine Art religiöser Kolonisierung von Angehörigen eines anderen Glaubens vorgenommen wird.  Selbst wenn eine religiöse Gruppe einen Hain als Ort der göttlichen Offenbarung bewahrt, kümmert sie sich nicht unbedingt um die ökologische Gesundheit und das Wohlbefinden der Bäume.  Im Gegensatz dazu werden traditionelle Überzeugungen an baumbewohnende Geister mit wissenschaftlich-ökologischen Erkenntnissen kombiniert, um erfolgreiche Aufforstungsprojekte zu schaffen.

Der vollständige Beitrag ist erschienen im September 2022 im Handbuch der Religionen: Dohe, Carrie B.: Schützen die Religionen die Natur zusammen? Wie ein interreligiöses Projekt für biologische Vielfalt in Deutschland Religion und Naturschutz ändert. 73. Ergänzungslieferung 2022. In: Michael Klöcker & Udo Tworuschka (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum [Handbook of Religions. Churches and other Religious Communities in Germany and German-speaking Countries]. Loseblattwerk, Westarp Science Fachverlag, Hohenwarsleben 2022.

Schlagwörter
Religion und Umweltschutz, Naturschutz, interreligiöser Dialog, Deutschland, biologische Vielfalt, Umweltpolitik

Über die Autorin

Dr. Carrie B. Dohe war von 2017 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg im Fach Religionswissenschaft. Dort forschte sie über den Zusammenhang zwischen Religionen und Umweltschutz in und außerhalb Deutschlands. Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Seit 2021 hat sie eine Forschungsstelle an der School of the Environment der Universität Toronto, wo sie das Projekt „Bees for Peace: Interfaith Engagement for Pollinator Protection“ leitet.

Newsletter abonnieren