Carrie Dohe
Schützen die Religionen die Natur zusammen?
Wie ein interreligiöses Projekt für biologische Vielfalt in Deutschland Religion und Naturschutz ändert
Zusammenfassung
Die Einbeziehung von Umwelt, Natur- und Klimaschutz in den religiösen Diskurs und in die Praxis wirft wichtige wissenschaftliche Fragen danach auf, wie diese Themen Religionen transformieren. Doch trotz des Wachstums religiöser und interreligiöser Umweltinitiativen in Deutschland wurden bisher nur zwei Kurzstudien zu diesem Thema veröffentlicht. Diese Abwesenheit ist wegen der langen Geschichte des deutschen Umweltschutzes, der Bundesförderung religiös begründeter Nachhaltigkeitsprojekte und der Zunahme interreligiöser Initiativen als Reaktion auf die zunehmende soziale Vielfalt auffällig. Angesichts der Befürchtungen, der soziale Zusammenhalt verringere und die Umweltlage verschlechtere sich, könnte ein interreligiöses Projekt für den Naturschutz ein wirksames Mittel sein, um ein friedliches Zusammenleben zu fördern und gleichzeitig das Bewusstsein für die Gemeinsamkeiten zu schärfen, die alle Mitglieder der Gesellschaft teilen. Aber wie und in welchem Maße würde ein solches Projekt sowohl Religionen als auch Naturschutz verändern? Das seit 2017 bundesgeförderte Projekt „Religionen für biologische Vielfalt“ wirft diese Frage auf. Es zielt mit fünf Subprojekten darauf ab, Netzwerke zwischen Mitgliedern nicht konfessioneller Naturschutzorganisationen und Mitgliedern sich oft gegenseitig widerstreitender Religionen aufzubauen, um das Bewusstsein für die Erhaltung der Natur zu erhöhen. Anhand von Aktionsforschung, Dokumentenanalyse, Partizipationsbeobachtung, Interviews und Veranstaltungsorganisation zeigen die Forschungsresultate, dass trotz der Behauptung des Projekts, Naturschutz sei ein inhärenter Aspekt von Religionen, und Interviewergebnissen, die auf einen Konsens über den Naturschutz als kollektive soziale Aufgabe hinweisen, die Anliegen der Teilnehmenden weit über das Religiöse oder Ökologische hinausgehen. Vielmehr kreisen sie um sozialen Status, sozialen Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Diskriminierung und Säkularisierung. Außerdem hat die Konzentration auf Naturschutz starke Spannungen um Ort und Rang der Religion in einer säkularen Gesellschaft hervorgebracht. Schließlich verändert dieses Projekt sowohl die Religionen als auch den Naturschutz, indem es die Religionen teilweise homogenisiert und den Naturschutz über seine modernen wissenschaftlichen und regulatorischen Parameter hinaus mit Werten wie Liebe und Einheit erweitert. Es bleibt abzuwarten, ob der Zusammenhang zwischen Religion und Naturschutz wesentlich zum Erhalt der Natur beiträgt.
Religion und Umweltschutz, Naturschutz, interreligiöser Dialog, Deutschland, biologische Vielfalt, Umweltpolitik
Religions Preserving Nature Together?
How an Interfaith Project for Biological Diversity in Germany is Changing Religion and Nature Conservation
Summary
The inclusion of environmentalism, nature conservation and climate protection in religious discourse and practice raises important scholarly questions about how these issues are transforming religions. However, despite the growth of religious and interreligious environmental initiatives in Germany, only two short studies on this topic have been published so far. This absence is striking because of the long history of German environmentalism, the federal funding of religiously-motivated sustainability projects and the growth of interfaith initiatives in response to increasing social diversity. Given fears around diminishing social cohesion and increasing environmental degradation, an interfaith project for nature conservation could be an effective means of promoting peaceful coexistence, while raising awareness of commonalities among all members of society. Yet how and to what extent would such a project change both religions and nature conservation? The Religions for Biological Diversity project, funded by the German federal government since 2017, raises this question. With five subprojects, Religions for Biological Diversity aims to build networks between members of secular conservation organizations and members of often conflicting religions to raise the awareness and conservation of nature. Based on action research, document analysis, participation observation, interviews and event organisation, research results show that, despite the project’s assertion that nature conservation is an inherent aspect of religions, and consensus expressed in interviews that nature conservation is a collective social task, participants’ concerns go far beyond the religious or ecological. Rather, they revolve around social status, social cohesion, justice, discrimination and secularisation. Moreover, the focus on nature conservation has created strong tensions around the place of religion in a secular society. Finally, this project changes both religions and nature conservation by partially homogenizing religions and extending nature conservation beyond its modern scientific and regulatory parameters with values such as love and unity. It remains to be seen whether the connection between religion and nature conservation contributes significantly to the preservation of nature.
religion and environmentalism, nature conservation, interreligious dialogue, Germany, biodiversity, environmental policy
73. Ergänzungslieferung / 2022 / Gliederungs-Nr.: I – 14.6.4