Hermann Terhalle
Wallfahrten im Westmünsterland
Zusammenfassung
Der Beitrag illustriert Einflüsse und Dynamiken, die Volksfrömmigkeit und Brauchtum in einer bestimmten Region unterworfen sind und die ihre Entfaltung bzw. ihren Niedergang beschleunigen, am Beispiel des Wallfahrtswesens im Westmünsterland. Dabei zeigt sich, dass einerseits ideen- und frömmigkeitsgeschichtliche, politische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Faktoren die Entwicklung des Wallfahrtswesens vehement beeinflusst haben, und andererseits das Wallfahrtswesen großen Einfluss auf die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung einzelner Orte nahm. Auch grenzübergreifende Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden wurden durch das Wallfahrtswesen mitbestimmt. Doch auch auf die Entwicklung der Volksfrömmigkeit selbst, deren Ausdruck das Wallfahrtswesen ist, wirken die genannten Faktoren zurück. Nachdem sich die mittelalterliche Form der Wallfahrten als Vermittlungsinstanz sozialdisziplinierter Frömmigkeit überlebt hatte, sollte seit dem Zeitalter der Aufklärung ein tugendhaftes religiöses Leben ohne das Wallfahrtwesen verwirklicht werden, was zu einem Bruch der Beziehungen zwischen Volksfrömmigkeit und amtskirchlicher Theologie führte. Seit einigen Jahrzehnten zeigt sich ein neues Interesse am Besuch spiritueller Orte und an einer Verbindung körperlicher Aktivitäten mit geistigen Anregungen.
Bilderverehrung, Brauchtum, Katholische Aufklärung, Pilgerfahrt, Reliquienkult, Volksfrömmigkeit, Wallfahrtswesen
Pilgrimages in the Westmünsterland
Summary
Drawing on the example of pilgrimages in western Münsterland, this article deals with influences and dynamics shaping popular piety and regional customs in a certain region accelerating their rise and their decline. It will be shown that on the one hand elements of popular piety, world view, politics, economy and development of public transportation strongly influence the development of pilgrimages, and on the other hand pilgrimages insert strong influences on the economic and infrastructural development of individual towns. Also cross-border relationships between Germany and the Netherlands have been shaped by pilgrimages. But the factors mentioned also act back to the development of popular piety itself whose expression pilgrimages are. Since the Age of Enlightenment, after the medieval form of pilgrimages as mediator of socially disciplined piety had been out of date, a virtuous religious life without pilgrimages should be realized resulting in a break between popular piety and church theology. Yet, for several decades, there is a new interest in visiting sacred places and connecting physical activities with spiritual stimuli.
Catholic enlightenment, image worship, pilgrimage, popular piety, regional customs, relic cult
70. Ergänzungslieferung / 2021 / Gliederungs-Nr.: I – 23.12