Im Auge des hermeneutischen Sturms. Mystische Theologie im Gespräch mit der Religionspädagogik

Handbuch der Religionen, XIV. Religion im Verhältnis zu ...

Bert Roebben
Sander Vloebergs

Im Auge des hermeneutischen Sturms. Mystische Theologie im Gespräch mit der Religionspädagogik

Zusammenfassung und Schlagwörter

In diesem interdisziplinären Beitrag untersuchen wir, wie die mittelalterliche mystische Theologie den Religionslehrenden bei ihrer Arbeit im Klassenzimmer helfen kann, die Spannung zwischen religious literacy und religiöser Erfahrung zu verstehen bzw. auszuhalten. Wir interpretieren diese Spannung neu, indem wir uns auf eine erfahrungsorientierte statt auf eine kognitiv-konzeptionelle Theologie stützen. Zunächst beschreiben wir die Spannung zwischen religious literacy und religiöser Erfahrung im aktuellen religionspädagogischen Diskurs. Anschließend kommentieren wir den „hermeneutischen Sturm“ im Klassenzimmer, eine Metapher zum Verständnis der Komplexität des Lernprozesses im Kontext der Reibung zwischen der Welt des theologischen Curriculums und der Lebenswelt von Schüler*innen. Lehrer*innen müssen in diesem Konflikt als wounded healer (Carl-Gustav Jung) standhaft bleiben. Drittens stellen wir die mittelalterliche Mystik als Bezugsrahmen für Lehrer*innen vor, um mit dieser Situation umzugehen, die den modernen Drang nach rationaler Kontrolle herausfordert. Wir erörtern den historischen Kontext der Demokratisierung der mystischen Theologie, die verschiedenen Gattungen und die verkörperte und einbildungskräftige Sprache, die Mystiker*innen verwenden, um ihre Schüler*innen in ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten. Dazu wird Hadewijchs mystische Erfahrung als Wechselspiel zwischen Liebe und Vernunft als Beispiel herangezogen. Und zum Schluss diskutieren wir die These, ob die mystische Theologie heutigen Religionslehrenden Einblicke in die „verborgene Gegenwart Gottes“ bieten kann, wenn sie mit hermeneutischen Stürmen im Klassenzimmer konfrontiert sind und „mittendrin“ und „bottom up“ versuchen, eine gemeinsame Grammatik für das Verstehen von unterschiedlichen „muttersprachlichen“ religiösen Erfahrungen didaktisch zu entwickeln.
Mystische Theologie, Religionslehrer*innen, Religionsunterricht, religious literacy, religiöse Erfahrung, Interdisziplinarität, performatives Lernen, Hadewijch

In the eye of the hermeneutical storm. Mystical theology in dialogue with Religious Pedagogy

Summary and Key Words

In this interdisciplinary paper, we explore how medieval mystical theology can help religious educators understand, or rather endure, the tension between religious literacy and religious experience in their work in the classroom. We reinterpret this tension by drawing on an experiential rather than a cognitive-conceptual theology. First, we describe the tension between religious literacy and religious experience in current religious education discourse. We then comment on the „hermeneutic storm“ in the classroom, a metaphor for understanding the complexity of the learning process in the context of the friction between the world of the theological curriculum and the lifeworld of students. Teachers must stand firm as „wounded healers“ (Carl-Gustav Jung) in this conflict. Third, we present medieval mysticism as a frame of reference for teachers to deal with this situation, which challenges the modern urge for rational control. We discuss the historical context of the democratization of mystical theology, the different genres and the embodied and imaginative language that mystics use to accompany their students in their personal development. Hadewijch’s mystical experience as an interplay between love and reason is used as an example. Her theology can offer today’s religious educators insights into the „hidden presence of God“ when they are confronted with hermeneutical storms in the classroom and try to develop a common grammar for understanding „mother tongue“ religious experiences „bottom up“.
Mystical theology, teacher education, religious education, religious literacy, religious experience, interdisciplinarity, performative learning, Hadewijch

82. Ergänzungslieferung / 2024 / Gliederungs-Nr.: XIV – 5.1.2.10

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