Die orientalisch-orthodoxen Christen bereichern seit vielen Jahren die religiöse Landschaft in Deutschland. Doch ihr Weg hierher war oft von Herausforderungen und Kämpfen geprägt. Dieser Blogbeitrag beleuchtet die Geschichte, die Identität und die Bemühungen dieser Gemeinschaften, sich in Deutschland zu integrieren, während sie gleichzeitig ihre kulturellen und religiösen Wurzeln bewahren.
Eine lange Geschichte der Migration
Schon lange vor der sogenannten Flüchtlingskrise fanden orientalisch-orthodoxe Christen ihren Weg nach Deutschland. Diese Gemeinschaften, zu denen syrisch-orthodoxe Christen, Armenier, Kopten, Mitglieder der Kirche des Ostens sowie eritreisch und äthiopisch-orthodoxe Christen gehören, flohen oft vor religiöser Verfolgung und politischen Krisen in ihren Heimatländern. Ihr Glaube und ihre Kultur wurzeln tief zwischen Euphrat und Nil, im Persischen Golf und auf dem afrikanischen Hochland.
Das Ringen um Identität und Assimilation
Ein zentraler Aspekt ihres Lebens in Deutschland ist der Balanceakt zwischen Identitätsbewahrung und Assimilation. Diese Gemeinschaften sind bestrebt, ihre religiösen Traditionen und kulturellen Werte zu bewahren, während sie gleichzeitig aktiv am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilnehmen. Dies wird besonders deutlich in ihren Bemühungen, Glaubensleben in der Diaspora zu gestalten und strukturell zu verankern. Die syrisch-orthodoxe Kirche hat beispielsweise bereits bedeutende Schritte unternommen, indem sie als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt wurde.
Gemeinschaften und Strukturen
Die Apostolische Kirche des Ostens
Die Apostolische Kirche des Ostens, auch bekannt als die Kirche des Ostens oder die Assyrische Kirche, hat eine beeindruckende Geschichte, die bis ins antike Mesopotamien zurückreicht. Ihre Ursprünge liegen in der Doppelstadt Seleukia-Ktesiphon im heutigen Irak. Diese Glaubensgemeinschaft wurde durch die Verfolgungen und Krisen in ihrer Heimat stark geprägt. Ein Großteil der Gemeinden dieser Tradition befindet sich heute in Wiesbaden, München, Borken, Essen und Lübbecke. Hier haben sie ihre eigenen Kirchenstrukturen aufgebaut und bemühen sich um die Bewahrung ihrer liturgischen und sprachlichen Traditionen.
Die Apostolische Kirche des Ostens in Deutschland steht vor der Herausforderung, ihre Identität in einer neuen Umgebung zu bewahren. Trotz ihrer relativ kleinen Anzahl von etwa 10.000 Mitgliedern in Deutschland haben sie es geschafft, ihre religiösen Praktiken und Gemeinschaftsstrukturen aufrechtzuerhalten. Ein wichtiger Meilenstein war die Einweihung eines Gemeindesaals in Borken im Sommer 2018, der als Begegnungsstätte dient.
Gemeinden syrisch-orthodoxer Tradition
Die syrisch-orthodoxen Christen, die ihren Glauben auf die alte Patriarchatskirche von Antiochien zurückführen, haben eine reiche und komplexe Geschichte. In Deutschland begannen die ersten syrisch-orthodoxen Christen in den 1960er Jahren im Zuge der Gastarbeiteranwerbung anzukommen. Später kamen weitere Flüchtlingswellen aufgrund von Konflikten und Verfolgungen im Nahen Osten hinzu.
Die syrisch-orthodoxe Kirche in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt. Heute gibt es über 60 Gemeinden, die von mindestens 58 Priestern betreut werden. Die größte syrisch-orthodoxe Gemeinde befindet sich in Herne, wo regelmäßig Liturgien gefeiert und religiöse Feste begangen werden. Die Kirche ist auch stark in die ökumenische Arbeit eingebunden und unterhält enge Beziehungen zu anderen christlichen Konfessionen in Deutschland.
Armenisch-orthodoxe Christen in Deutschland
Die Armenisch-apostolische orthodoxe Kirche hat eine besonders lange Geschichte der Diaspora. Die ersten Armenier kamen bereits im 19. Jahrhundert nach Deutschland, doch die größere Migration erfolgte nach den dramatischen Ereignissen des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Heute zählen etwa 60.000 bis 70.000 Armenier zur armenisch-orthodoxen Kirche in Deutschland.
Diese Gemeinschaft ist gut organisiert, mit mehreren Kirchen und Kulturvereinen, die ihre religiöse und kulturelle Identität bewahren. Die größte Gemeinde befindet sich in Köln, wo die Heilige Liturgie in der Kirche St. Sahak-St. Mesrop gefeiert wird. Der Erhalt der armenischen Sprache und Tradition ist ein zentraler Aspekt des Gemeindelebens. Die Armenisch-apostolische Kirche spielt auch eine wichtige Rolle in der Erinnerungskultur, insbesondere im Gedenken an den Völkermord.
Koptisch-orthodoxe Gemeinden in Deutschland
Die koptisch-orthodoxe Kirche, deren Wurzeln bis ins alte Ägypten zurückreichen, ist eine der größten orientalisch-orthodoxen Gemeinschaften in Deutschland. Die ersten Kopten kamen in den 1950er Jahren, und heute gibt es schätzungsweise 15.000 koptische Christen in Deutschland. Ihre wichtigsten Zentren sind die Klöster in Kröffelbach und Höxter, die als spirituelle und kulturelle Mittelpunkte dienen.
Die Kopten in Deutschland haben es geschafft, ihre traditionellen Riten und Liturgien zu bewahren, während sie sich gleichzeitig in die deutsche Gesellschaft integrieren. Besonders hervorzuheben ist ihr Engagement in der Ökumene und ihr aktiver Beitrag zum interreligiösen Dialog. Bischof Damian, der Bischof für Norddeutschland, ist ein prominenter Vertreter, der intensive Kontakte zu verschiedenen religiösen und gesellschaftlichen Gruppen pflegt.
Äthiopische und eritreische Gemeinden
Die äthiopisch-orthodoxe und eritreisch-orthodoxe Kirche haben eine tief verwurzelte religiöse Tradition, die stark von afrikanischen und alttestamentlichen Elementen geprägt ist. Die ersten äthiopischen und eritreischen Christen kamen in den 1970er Jahren nach Deutschland, oft auf der Flucht vor Krieg und politischer Verfolgung.
In Deutschland gibt es heute mehrere Gemeinden, die sich um die Bewahrung ihrer einzigartigen liturgischen und kulturellen Traditionen bemühen. Die äthiopischen Gemeinden, wie die in Köln-Longerich, sind eng mit dem Patriarchat in Addis Abeba verbunden. Die eritreischen Christen in Deutschland sind in zwei Gruppen gespalten, die unterschiedliche Patriarchen anerkennen, was auf die politischen Spannungen in ihrer Heimat zurückzuführen ist. Beide Gemeinschaften legen großen Wert auf die religiöse Bildung ihrer Kinder und die Pflege ihrer traditionellen Gottesdienste.
Der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland
Der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD) spielt eine wichtige Rolle bei der Vernetzung und Vertretung der orientalisch-orthodoxen Christen in Deutschland. Der Zentralrat setzt sich für die Interessen und Belange dieser Gemeinschaften ein und fördert den interreligiösen Dialog sowie die Integration der orientalisch-orthodoxen Christen in die deutsche Gesellschaft. Durch Veranstaltungen, Publikationen und politische Arbeit trägt der ZOCD dazu bei, das Bewusstsein für die kulturelle und religiöse Vielfalt dieser Gemeinschaften zu stärken und ihre Präsenz in der deutschen Öffentlichkeit zu fördern.
Herausforderungen und Chancen der Integration
Die Integration orientalisch-orthodoxer Christen in Deutschland ist eine vielschichtige Aufgabe, die sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringt. Während sie ihre kulturelle Identität bewahren, bemühen sich diese Gemeinschaften auch um eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dies zeigt sich in ihren diakonischen Tätigkeiten, wie Übersetzungshilfen, Unterstützung in Aufnahmestellen und der Aufnahme von Geflüchteten in prekären Situationen.
Besonders bemerkenswert ist das Engagement der koptischen Kirche, die nicht nur in der deutschen Gesellschaft integriert ist, sondern auch innerhalb der Ökumene aktiv teilnimmt. Bischof Damian, ein prominenter Vertreter der koptischen Kirche in Deutschland, pflegt intensive Kontakte zu katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinden sowie zu friedfertigen islamischen Organisationen.
Religiöse Vielfalt und interkultureller Dialog
Die orientalisch-orthodoxen Kirchen tragen erheblich zur religiösen Vielfalt in Deutschland bei. Ihre Liturgien, Riten und Gebräuche unterscheiden sich oft stark von den traditionellen protestantischen und katholischen Praktiken in Deutschland, was zu einem reichen kulturellen Austausch führt. Veranstaltungen wie die Weserprozession, eine Adaption der Nilprozession der koptischen Kirche, sind Beispiele für die lebendige Tradition und die Anpassungsfähigkeit dieser Gemeinschaften in ihrer neuen Heimat.
Schlussbetrachtungen
Die Geschichte der orientalisch-orthodoxen Christen in Deutschland ist eine Geschichte von Anpassung, Integration und der Bewahrung kultureller Identität. Trotz der Herausforderungen, die mit der Migration und dem Leben in der Diaspora einhergehen, haben diese Gemeinschaften bedeutende Beiträge zur deutschen Gesellschaft geleistet und eine einzigartige religiöse Vielfalt geschaffen.
Durch ihre Bemühungen, sich strukturell zu verankern und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, zeigen die orientalisch-orthodoxen Christen, dass Integration und Identitätsbewahrung Hand in Hand gehen können. Ihre Geschichte ist ein inspirierendes Beispiel für die Kraft der Gemeinschaft und den Wert kultureller Vielfalt in einer globalisierten Welt.
Indem wir die Geschichten und Erfahrungen dieser Gemeinschaften würdigen, können wir nicht nur unser Verständnis für die Vielfalt in unserer Gesellschaft vertiefen, sondern auch Wege finden, wie wir eine inklusivere und respektvollere Gemeinschaft gestalten können.
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