Schock und Nicht-Wahrhaben-Wollen: Die erste Phase des Trauerns
Wenn jemand stirbt, reagiert jeder Hinterbliebene anders und doch gibt es auch Parallelen. Diese können helfen, das eigene Verhalten besser zu verstehen oder Betroffene in ihrer Trauer zu unterstützen.
Konfrontation mit dem Tod
Die 32-jährige Julia musste in ihrem Leben schon häufiger mit der tiefen Trauer, die der Tod einer geliebten, nahestehenden Person mit sich bringt, umgehen. Vor zwei Jahren traf sie das Schicksal besonders schlimm, als sie gleich zwei ihr sehr wichtige Personen innerhalb von nur einer Woche verlor.
Bei einer dieser Personen handelte es sich um Julias ältere, an Demenz erkrankte Tante. Obwohl Julia mit deren nicht allzu fernem Tod gerechnet hatte, ist es doch etwas ganz anderes, wenn dann der geliebte Mensch wirklich verstirbt und man sich klar machen muss, dass er nie wieder da sein wird. Den zweiten Verlust, den Julia erleiden musste, war der einer sehr guten Freundin, die vier Jahre lang gegen eine Krebserkrankung gekämpft hatte. Auch bei ihr konnte und musste sie damit rechnen, dass das Leben ihrer Freundin begrenzt war und sie nur noch wenig gemeinsame Zeit haben würden. Und trotzdem traf sie ihr Tod unvorbereitet.
Meine Tante konnte ich beim Sterben begleiten und habe an ihrem Bett gesessen und ihre Hand während ihres Weggangs halten können. Von dem Tod meiner Freundin wurde ich dann doch überrascht, in diesem Moment hatte ich einfach nicht damit gerechnet. Beide wurden innerhalb einer Woche beerdigt – dazwischen nur ein Tag für ein kurzes Innehalten.
Gefühle der Betäubung und Leugnung
Im ersten Moment des Verlusts habe Julia nur wenig gespürt, war wie betäubt oder gelähmt, fast gefühllos und erstarrt. Sie konnte oder wollte den Tod und den Verlust nicht wahrhaben – obwohl sie doch damit gerechnet oder den Sterbeprozess sogar begleitet hatte.
Die Psychologin
, bezeichnet diese erste Phase des Trauerprozesses als eine Phase des Leugnens oder des Nicht-Wahrhaben-Wollens. Diese Phase kann wenige Stunden bis mehrere Wochen dauern – dies ist auch abhängig davon, ob der Tod voraussehbar war oder ob er völlig unvorbereitet eingetreten ist. In dieser Phase kann es zu körperlichen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen, Schweißausbrüchen, erhöhtem Pulsschlag, Unruhe und Schlaflosigkeit bis hin zu körperlichen Zusammenbrüchen kommen.Auch der Theologe
spricht in seinem vierphasigen Prozess des Trauerns von einer ersten Schockphase. Wie diese Phase überwunden werden kann, ist unter anderem abhängig davon, wie Angehörige und Freunde die trauernde Person unterstützen. Gerade in dieser Phase hilft es, die eigenen Emotionen zu kontrollieren und sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Nach dem Tod von Julias Tante etwa musste sie sofort wieder funktionieren, um die Beerdigung zu organisieren.Viel war zu tun und zu entscheiden – ein Bestattungsinstitut beauftragen, Fragen nach dem wo, wie und wann der Beerdigung waren zu klären, Texte für die Traueranzeige mussten gefunden werden. Ich musste Gespräche mit einem geistigen Beistand oder Grabredner führen und einen angemessenen Ort für den „Leichenschmaus“ finden, viel Zeit zum Trauern blieb da nicht.
Unterstützung des Trauernden
Eine Beerdigung wartet leider nicht darauf, dass man sich mit dem Tod einer geliebten Person abgefunden und sich von der starken Trauer, die dieser auslöst, erholt hat. Julia musste in ihrer tiefen Trauer sofort zu sich zurückfinden und einen kühlen Kopf bewahren, wenigstens bis alles organisiert war und ihre Tante beerdigt werden konnte. Etwas anders lief das mit der Beerdigung ihrer guten Freundin. Obwohl Julia hier „nur“ teilnehmen musste, fiel es ihr nicht einfacher, sich mit ihrer eigenen Trauer auseinanderzusetzen und den Tod ihrer Freundin wirklich zu realisieren.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich beide Beerdigungen wie aus einem Nebel heraus erlebt habe – als wäre ich nicht real anwesend gewesen, sondern hätte von außen als Beobachterin zugesehen.
Der Tod ist überwältigend und hinterlässt uns manchmal wie in einem Schock. Dabei kann es eine enorme Unterstützung sein, sich im Beisein von Freunden zu befinden, um diese erste Trauerphase bald überwinden zu können. Für Julia war es eine große Hilfe, ihre Freunde um sich zu haben und, ohne viel zu fragen, ihre Wärme, Anteilnahme und Mitgefühl zu spüren. Auch bei der Planung der Beerdigung ihrer Tante, auf dem Weg zum Bestattungsinstitut und beim Gespräch mit dem Pfarrer wurde sie durch Freunde begleitet und unterstützt. Oft können auch Besuche dafür sorgen, dass sich die Trauernden nicht so allein fühlen und ihre Herzen öffnen können. Für Julia war es eine Erleichterung, dass sie hier ganz ehrlich sein und ihre Empfindungen so zeigen konnte, wie sie sich gefühlt hat – auch ohne Tränen, weil sie in der Situation noch keine Zeit zum Weinen hatte.
Für andere ist es aber schon eine große Hilfe, bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben Unterstützung zu bekommen. Darunter fällt zum Beispiel das Übernehmen von Einkäufen oder das Zubereiten einer warmen Mahlzeit. Wichtig ist es, den Hinterbliebenen ihre Zeit zu geben und ihnen deutlich zu machen, dass man für jede Bitte und jeden Hilferuf da ist. Und für Julia, die so plötzlich mit dem Tod zweier Menschen konfrontiert wurde, die ihr sehr nahestanden, war es wichtig zu akzeptieren, dass das Trauern ein langer Prozess sein und viele verschiedene Formen annehmen kann.
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Angelika Brandt
Angelika Brandt ist Arbeits- und Organisationspsychologin mit langjähriger Erfahrung als Krankenschwester. Als Berufsschullehrerin für soziale Berufe sind Themen wie Sterben und Tod sowie Trauerarbeit wichtige Bereiche, die sie mit viel Empathie und Wertschätzung vermittelt.
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