fbpx

Umbanda: Eine afro-brasilianische Religion in der Mitte Europas

Umbanda: Flussgöttin Oxum

Die Welt der Religionen ist so vielfältig wie die Kulturen, die sie hervorgebracht haben. Eine besonders interessante und oft weniger bekannte Religion, die sich über die Grenzen Brasiliens hinaus verbreitet hat, ist die Umbanda. Diese afro-brasilianische Religion hat sich in den letzten Jahrzehnten auch im deutschsprachigen Raum etabliert. In diesem Blogbeitrag nehmen wir Sie auf eine Reise durch die Welt der Umbanda mit, beleuchten ihre Ursprünge und zeigen auf, wie sie heute in Deutschland, Österreich und der Schweiz gelebt wird.

Die Wurzeln der Umbanda

Umbanda entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Rio de Janeiro und vereint Elemente afrikanischer, indigener und europäischer religiöser Traditionen. Diese synkretistische Religion ist vor allem durch ihre undogmatische und praxisorientierte Natur gekennzeichnet. Da sie keine heiligen Schriften kennt, wird das Wissen mündlich weitergegeben und ist stark auf die rituelle Praxis fokussiert.

Im Mittelpunkt der Umbanda stehen spirituelle Entitäten, die durch spezielle Medien, die sogenannten „Töchter und Söhne im Heiligen“ (Filhas und Filhos de Santo), während ritueller Trance-Zustände inkarniert werden. Diese Entitäten können indigene Geistwesen (Caboclas und Caboclos), afrikanische Geister aus der Kolonialzeit (Pretas Velhas und Pretos Velhos) oder andere spirituelle Wesen sein, die mit den Menschen in Kontakt treten, um ihnen zu helfen, sie zu beraten oder zu heilen.

Umbanda in der Mitte Europas: Ein Netzwerk spiritueller Gemeinschaften

Im deutschsprachigen Raum hat sich die Umbanda insbesondere durch zwei wichtige Gemeinschaften etabliert: das Ilê Axé Oxum Abalô in der Schweiz und den Strahlenzirkel St. Michael in Deutschland.

Das Ilê Axé Oxum Abalô wurde 2006 in den Schweizer Alpen gegründet und hat sich seitdem über verschiedene Städte in der Schweiz, Österreich und Deutschland ausgebreitet. Diese Gemeinschaft ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie sich die Umbanda an neue kulturelle Kontexte anpasst und dabei dennoch ihre Wurzeln bewahrt. Das Mutterhaus in der Nähe von Appenzell dient als spirituelles Zentrum, in dem regelmäßig Rituale und Schulungen stattfinden. Jedes Jahr versammeln sich die Mitglieder aus den verschiedenen Regionen zu internen Ritualtagen, um ihre spirituelle Praxis zu vertiefen.

Rituale und Glaubenspraktiken: Eine Verbindung zur Natur

Die Rituale der Umbanda sind tief mit der Natur verbunden. Jede spirituelle Entität hat ihre eigenen Naturdomänen, die sie schützt und von denen sie ihre Kraft bezieht. So wird zum Beispiel Oxum, die Göttin der Flüsse und Seen, in den Ritualen besonders verehrt. In der Praxis der Umbanda in Europa werden oft ähnliche Kräuter und Symbole verwendet wie in Brasilien, aber es gibt auch Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten.

Während der Rituale treten die Trancemedien in Kontakt mit den spirituellen Entitäten und werden so zu Kanälen, durch die diese Wesen ihre Botschaften übermitteln. Diese spirituelle Kommunikation ist nicht nur ein zentraler Bestandteil der Religion, sondern dient auch der Heilung und Unterstützung der Teilnehmer.

Die Bedeutung der Re-Afrikanisierung

Ein besonderes Merkmal der Umbanda im Ilê Axé Oxum Abalô ist die bewusste Re-Afrikanisierung der Religion. Während die Umbanda in Brasilien oft Elemente des Christentums, Spiritismus und anderer religiöser Traditionen integriert hat, legt diese Gemeinschaft in der Schweiz besonderen Wert darauf, die afrikanischen Wurzeln der Religion zu betonen. Dies zeigt sich in der materiellen Kultur, den Ritualen und der verwendeten Symbolik, die stark an die Traditionen der westafrikanischen Yorùbá-Religion angelehnt sind.

Diese Rückbesinnung auf die afrikanischen Ursprünge ist nicht nur ein kultureller, sondern auch ein politischer Akt. Es geht darum, die spirituellen und kulturellen Werte Afrikas zu bewahren und zu würdigen, besonders in einer Welt, die lange Zeit von kolonialen und eurozentrischen Ansichten dominiert wurde.

Die spirituelle Gemeinschaft: Ein Ort der Heilung und des Wachstums

Die Gemeinschaften der Umbanda im deutschsprachigen Raum sind Orte der spirituellen Heilung und des persönlichen Wachstums. Menschen aller Hintergründe sind eingeladen, an den Ritualen teilzunehmen und die Kraft der spirituellen Entitäten zu erfahren. Diese Offenheit und Inklusivität machen die Umbanda zu einer Religion, die besonders in einer globalisierten und multikulturellen Gesellschaft ihre Relevanz findet.

Der Einweihungsweg in der Umbanda ist ein fortlaufender Lernprozess, der mit der Inkorporation der eigenen spirituellen Entitäten beginnt und schließlich zur tiefen Verbindung mit einem persönlichen Orixá, einer Gottheit der Yorùbá, führt. Dieser Prozess ist für Außenstehende oft unsichtbar und vollzieht sich hauptsächlich im Inneren der initiierten Personen.

Ein Blick in die Zukunft

Die Umbanda im deutschsprachigen Raum ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie sich Religionen im Laufe der Zeit und über Kontinente hinweg entwickeln und transformieren können. Sie zeigt, dass Religion nicht statisch ist, sondern sich ständig neu erfindet und an die Bedürfnisse und Kontexte der Menschen anpasst.

Die Zukunft der Umbanda in Europa scheint vielversprechend, insbesondere da sie weiterhin Menschen anspricht, die auf der Suche nach spiritueller Tiefe, Gemeinschaft und Heilung sind. Die Verbindung zu den afrikanischen Wurzeln und die Anpassung an die europäischen Lebensweisen zeigen, wie lebendig und dynamisch diese Religion ist.

Schlussgedanken

Die Umbanda ist mehr als nur eine Religion – sie ist ein lebendiges Erbe, das die Geschichten, Leiden und Hoffnungen vieler Generationen in sich trägt. Ihre Verbreitung im deutschsprachigen Raum ist ein Zeichen dafür, dass die Suche nach spiritueller Erfüllung und Verbundenheit universell ist und keine geografischen oder kulturellen Grenzen kennt. In einer Welt, die oft von Trennungen und Konflikten geprägt ist, bietet die Umbanda einen Weg, durch spirituelle Praxis Heilung und Gemeinschaft zu finden.

Ob Sie nun in die tiefen Wälder Brasiliens reisen oder an einem Ritual in den Schweizer Alpen teilnehmen – die Umbanda lädt uns ein, die Verbindung zwischen Mensch und Natur, Vergangenheit und Gegenwart, Diesseits und Jenseits zu erforschen und zu feiern.

Der vollständige Beitrag ist erschienen im Handbuch der Religionen:

Scharf da Silva, Inga: Umbanda im deutschsprachigen Raum. 56. Ergänzungslieferung 2018. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka & Martin Rötting (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum [Handbook of Religions. Churches and other Religious Communities in Germany and German-speaking Countries]. Westarp Science Fachverlag, Hohenwarsleben 2024.

Schlagwörter:
Afrobrasilianische Religion, Ilê Axé Oxum Abalô, Terra Sagrada, Ursprungsmythos, Orixás, Reafrikanisierung, spirituelle Entitäten, Trance

Das Handbuch der Religionen in Ihrer Bibliothek

Das Handbuch der Religionen steht Ihnen in zahlreichen Bibliotheken online zur Verfügung. Sollte es in Ihrer Bibliothek noch nicht verfügbar sein, regen Sie dort doch einfach die Beschaffung des Werkes an.

Wenn Sie an Einblicken in die Welt von Religion und Gesellschaft interessiert sind, abonnieren Sie unseren Newsletter und werden Teil unserer Community.

Für den Versand unserer Newsletter nutzen wir rapidmail. Mit Ihrer Anmeldung stimmen Sie zu, dass die eingegebenen Daten an rapidmail übermittelt werden. Beachten Sie bitte auch die AGB und Datenschutzbestimmungen.

Wenn Sie mehr lesen wollen:

Newsletter abonnieren